Heike Dahlgaard: Kampfgeist kennt kein Alter 29. September 202229. September 2022 Heike Dahlgaard lebt seit 1997 mit ihrer Familie in Billstedt. Seit 15 Jahren engagiert sie sich als Stadtteil-Aktivistin und setzt sich in unterschiedlichen Gremien u.a. für die Forderungen von Senior*innen ein. Wie bist du zum politischen Engagement gekommen? Ich bin Seniorin, 74 Jahre jung, und schon qua Geburt politisch. In meinem Elternhaus spielte Politik eine große Rolle. Mein Vater, Jahrgang 1906, wurde 1933 sofort von den Nazis eingesperrt. Er war Kommunist und ist erst 1945 wieder aus einem der vielen KZs, wo er nicht „gesessen“ hat, sondern wo er bis zur Bewusstlosigkeit über 12 Jahre unter den unwürdigsten Bedingungen schuften musste, von den Amerikanern befreit worden. Bis zum Ende seines Lebens hat er sich zusammen mit meiner Mama aktiv gegen die erneute Bedrohung eines politischen Rechtsrucks eingesetzt. Das hat mich geprägt. Zu den GRÜNEN bin ich als zugewählte Bürgerin in den Regionalausschuss Billstedt gekommen, das war vor 15 Jahren. Als Familie sind wir 1997 nach Billstedt gezogen und mir wurde klar: ein völlig unterbewerteter, liebenswürdiger Stadtteil! So wurde ich zu einer Stadtteil-Aktivistin und engagiere mich seitdem hier in unterschiedlichen Gremien und Institutionen. Warum ist Senior*innenpolitik für dich wichtig? Dem Alter angemessen, mache ich jetzt seit neun Jahren als GRÜNE auch bezirkliche Seniorenpolitik, seit fünf Jahren als gewählte Beirätin. Die Lebenssituation wird für viele Rentner*innen immer prekärer. Mein Aha-Erlebnis war mit dem Erreichen des Rentenalters vor bummelig 10 Jahren ein Gespräch mit der Sachbearbeiterin des Amtes der Rentenversicherung, die mir meine zukünftigen Bezüge berechnete. Da fiel mir die Kinnlade runter und ich musste mir noch anhören, dass meine Rente – nach 47 Jahren Berufstätigkeit inklusive abgeschlossenem Studium mit 2 Staatsexamen – mit knapp über 1100 € besonders für Frauen überdurchschnittlich gut sei… Mir war sofort klar, man muss was tun gegen Altersarmut! Wo muss sich die Bezirkspolitik anstrengen, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu meistern? Über 22% der über 65jährigen sind heute von Armut bedroht. Es wäre schön, wenn sich die bezirkliche Politik mehr dafür einsetzen würde, dass Bedürftige mehr an gesellschaftlichen Events, wie Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten partizipieren können, z.B. durch verbilligte Eintrittspreise in Museen, Theatern, Kino… Das gab es schon einmal, wurde aber leider wieder abgeschafft. Auch setzt sich der Senior*innenbeirat Hamburg-Mitte dafür ein, dass 9€-Ticket für einen Betrag von täglich einem Euro weiterzuführen. Wenn man bedenkt, wie der Autoverkehr subventioniert wird, erscheint einem dieser Betrag, der nachweislich einen Teil des Verkehrs von der Straße holt und auch die Umwelt schont, als nicht unrealistisch. Wir haben so eine Forderung nach Berlin geschickt. Einen Erfolg hatten wir schon, indem wir beharrlich dafür gekämpft haben, dass Inhaber*innen der HVV-Senioren-Monatskarte diese auch vor 09 Uhr nutzen können! Darüber hinaus unterstützen wir natürlich die Forderung aus der Bürgerschaft nach einer seniorengerechten Mobilität für ganz Hamburg. Schön und sinnvoll wäre es auch, wenn es genügend Sitzmöglichkeiten in den Stadtteilen geben würde. Ich habe das Gefühl, dass in letzter Zeit nicht viel getan wurde, um Bänke zu erneuern und zu erhalten. Auch neu eingerichtete und gekennzeichnete „Freundschaftsbänke“ können die Kommunikation im Stadtteil fördern. Wenn man auf ihr Platz nimmt, signalisiert man Gesprächsbereitschaft. Ganz toll wäre es natürlich, wenn mal darüber nachgedacht würde, wie man ein sinnvolles Beleuchtungskonzept für die dunkle Jahreszeit erstellen könnte. Bisher werden immer nur die Straßen voll beleuchtet, die es eigentlich am wenigsten brauchen, das stammt wohl noch aus der Postkutschenzeit. Aber wichtiger wäre es, wenn die Fuß- und Radwege hell sind, vielleicht mit der Technik von Bewegungsmeldern? Ende August sind viele Menschen auf die Straße gegangen, du warst auch dabei, worum ging es dir? Unsere Demo vom Senior*innenbeirat Hamburg-Mitte am 27. August fand sehr große Unterstützung, über 300 Leute zogen lautstark vom Hauptbahnhof zum Rathaus und haben gefordert, dass die 300€ Energiepauschale auch für Rentner*innen und Studierende gelten solle. Unser Motto war und ist: LASST UNS ALTE NICHT (ER)FRIEREN! Man könnte behaupten, dass Olaf nach dieser Demo, die zu „seinem“ Rathaus führte, eingeknickt ist… Was können andere Stadtteile von Billstedt lernen? Hmmmm …. , wir Billstedter*innen sagen immer „hier ist das nix für Warmduscher“, soll sagen: man muss schon hart im Nehmen sein, denn es ist nicht immer einfach, in einem Stadtteil zu leben, wo so viele Kulturen und Religionen zusammenkommen und wir sind über 70.000 Menschen. Aber es ist auch eine Bereicherung, wir müssen z.B. nicht nach New York fliegen, um ein gut funktionierendes, buntes Multikulti zu erleben, wir haben es täglich vor der Haustür. Von uns lernen kann man vielleicht, dass wir durch unseren Kulturpalast eine Einrichtung haben, die die besonderen Talente und liebenswerten Besonderheiten der einzelnen Kulturen herausstellt und fördert. Das schafft Verbindung und Verständnis. Ich bin mir sicher, über 90% der Billstedter*innen lieben ihren Stadtteil und identifizieren sich mit ihm. Ich auch. Bild: https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Demo-in-Hamburg-Senioren-fordern-Energiepauschale-fuer-alle,seniorendemo102.html