„Das Wohnen in der Baugemeinschaft hat für mich nur Vorteile“

Karin Heuer hat ihr ganzes Erwachsenenleben lang in GRÜNEN Zusammenhängen gewirkt. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Grünen Abgeordneten in der Bundestagsfraktion, hat 25 Jahre lang die Heinrich-Böll-Stiftung in Hamburg geleitet, war stellvertretende Kreisvorsitzende der GRÜNEN in Hamburg-Mitte und gehört der GRÜNEN Fraktion im Regionalausschuss Wilhelmsburg-Veddel an. Sie ist in Wilhelmsburg auch in anderen Kontexten aktiv und lebt seit 10 Jahren in einer Baugemeinschaft am Rande des Inselparks.

Was ist eine Baugemeinschaft?

Eine Baugemeinschaft besteht aus Menschen, die sich beispielsweise aus dem Freund*innenkreis oder der Nachbarschaft kennen und den Wunsch haben, zusammenzuleben. In der Regel suchen sie dann nach einem geeigneten Grundstück, das sie gemeinsam bebauen oder nach einer geeigneten Bestandsimmobilie, die sie nach den eigenen Vorstellungen umgestalten möchten. Häufig organisieren sie sich in Genossenschaften.

In unserem Fall lief es jedoch etwas anders. Die Stadt hat 2009 unter dem Motto „Baugrundstück sucht Bauherren“ für ein Grundstück explizit eine Baugemeinschaft gesucht, die für die IBA 2013 dieses bis dahin bebauen sollte. Ich war damals aktiv auf der Suche nach einer Baugemeinschaft, da ich nach dem Tod meines Partners nicht allein leben wollte und habe mich auf das Angebot gemeldet – als potentielle Bauherrin. Alle Einzelpersonen, Paare und Familien haben sich so zusammengefunden und sind dann eine Baugemeinschaft geworden.

Welche Vorteile für die Allgemeinheit ergeben sich aus der Förderung von Baugemeinschaften?

Das Leben in Baugemeinschaften wirkt dem großen Problem zunehmender Vereinzelung und Vereinsamung in Großstädten entgegen. Immobilien, die von Genossenschaften gebaut werden, sind dem Immobilienmarkt und der Spekulation entzogen. Das kann dabei helfen, die Preisspirale zu durchbrechen.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Mietshäuser Syndikat, das als „beste Genossenschaft, die keine ist“ ausgezeichnet wurde. Der Projektverbund berät selbstorganisierte Hausprojekte und beteiligt sich an Projekten, damit diese dem Immobilienmarkt entzogen werden und bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt. 

Wie hat das Zusammenfinden funktioniert?

Toll! Jede Baugemeinschaft hat ein Baubetreuungsbüro, in unserem Fall war es Conplan. Sie haben uns nach einer ersten Info-Veranstaltung miteinander vernetzt und über die nächsten Schritte informiert. Wir haben auf Flohmärkten, in Biomärkten und über eine Anzeige in der taz nach Mitbauenden gesucht, um uns gemeinsam für den Grundstückskauf bewerben zu können. Bei der Auswahl wurden Aspekte wie ökologisch Orientierung, Interkulturalität und eine generationenübergreifende Altersstruktur berücksichtigt. Heute leben wir hier in vier holzverkleideten Häusern mit 56 Erwachsenen zwischen Ende 30 und Mitte 70, die sieben verschiedene Ursprungsnationalitäten haben, sowie 33 Kindern, sieben Katzen und fünf Hunden.

Eine weitere Besonderheit war, dass die IBA bereits drei Architekt*innenentwürfe vorausgewählt hatte, zwischen denen wir auswählen mussten. Wir haben als Baugemeinschaft gebaut und sind jetzt eine Wohnungseigentümergemeinschaft(WEG).

Was sind aus deiner Sicht die Vorteile einer Baugemeinschaft?

Meine Wohnung habe ich fast komplett selbst entworfen. Ich hatte immer eine sehr genaue Vorstellung von einer Wohnung, in der ich leben möchte – und die konnte ich hier verwirklichen.

Es ist eine große Bereicherung mit Menschen zusammenleben, die ich kenne. Den Stadtteil und uns gegenseitig haben wir in der Phase des Planens und Bauens gut kennengelernt. Zu Beginn haben wir gemeinsame monatliche Veranstaltungen in unserem „offenen Wohnzimmer“ organisiert. Nach erster Euphorie ist das zwar langsam eingeschlafen, doch der nachbarschaftliche Zusammenhalt ist geblieben. Wir treffen uns bei unseren Sommerfesten oder zum Adventskakao, verleihen uns Autos, Räder und andere Gegenstände, und die Kinder wachsen mit ihren „Baugemeinschaftsgeschwistern“ gemeinsam auf. Über unseren E-Mailverteiler wird fast täglich etwas gesucht, von kurzfristigen Anfragen für ein Ersatzfahrrad, über Gesuche nach Ringelpullovern oder einem alten Koffer z.B. für ein Harry Potter-Kostüm, Anfragen nach Brätern oder Unterstützung beim Aufessen von ungeliebten Süßigkeiten oder übrig gebliebenem Gemüse, ist fast alles dabei. Wir sind so viele Menschen, dass wir den Bedarf eigentlich immer decken können. Das ist schon besonders!

Wir haben eine Gemeinschaftswohnung, die wir für Gästeübernachtungen oder Geburtstagsfeiern nutzen. Diese haben wir 2015 für ein Jahr einer afghanischen Familie zur Verfügung gestellt. Derzeit wohnt dort eine ukrainische Mutter mit ihrem Sohn. Als Baugemeinschaft bzw. WEG können wir entscheiden, so kurzfristig zu helfen.

Das Bauen in einer Baugemeinschaft hat natürlich auch einen finanziellen Vorteil. Wer auf dem freien Wohnungsmarkt eine Eigentumswohnung kauft, zahlt ja nicht nur den reinen Baupreis, sondern immer auch einen Aufschlag an den Immobilienentwickler, der daran verdienen will. Wir haben dagegen nur das bezahlt, was die Wohnung tatsächlich gekostet hat. Wir hatten großes Glück, denn vor 10 Jahren haben wir noch für 2.500 Euro pro Quadratmeter energieeffizient gebaut, heute liegt der Preis hier in Wilhelmsburg in der Kalkulation schon etwa doppelt so hoch.

Welche weiteren Baugemeinschaften sind in Wilhelmsburg geplant?

Von 5.000 Wohnungen, die in den kommen Jahren beispielsweise in Wilhelmsburg unter anderen im Rathausviertel und Elbinselquartier entstehen, sollen 1.000 Wohnungen gemäß der Quote von 20% von Baugemeinschaften gebaut werden. 650 Wohnungen davon sind bereits vergeben, einige sind noch frei. Ich kenne einige Menschen, die dort bauen wollen und weiß, dass die enorm gestiegenen Baukosten sowie die immer teurer werdenden Kredite vielen Probleme bereiten.Einen guten Überblick über Projekte in ganz Hamburg gibt die Agentur für Baugemeinschaften, die bei der Stadtentwicklungsbehörde angesiedelt ist. Hier werden Interessent*innen betreut und dabei unterstützt, ein passendes Grundstück zu finden.

Das Interview führte Johanna Hansen. Vielen Dank!